2/01/2014

#39

Notizbuch.

Ich öffne das Notizbuch und denke an die ersten Zeilen: Da wo es beginnt. Ich blättere vor, doch da ist nichts. Dann finde ich dich. Ich schreibe, die Geschichte beginnt vor dem Text.

Ich schreibe einen Vers für dich und streiche ihn sofort. Du bist so leicht und Sprache so schwer.

Du schmollst. Ich kann dir weder entlocken, warum, noch etwas dagegen tun. Deine Lieblingsworte willst Du nicht hören: weder vorgelesen, noch aufgesagt. Später nur einen Satz.

Ein Roman für dein Lächeln.

Ich schreibe dir ein Theaterstück. Alle Personen stehen das ganze Stück über auf der Bühne, rühren sich nicht und sprechen auch keinen Text. Fast nichts passiert. Das Publikum schaut eineinhalb Stunden aufmerksam ins Dunkel. Ich weiß, wie gerne Du die Ruhe hast.

Spät abends plagst du dich mit Kopfweh. Von Tabletten willst Du nichts wissen, von den Pillen in Textform, die ich dir verschreiben will, schon gar nicht.

Ich schreibe, als Du die Bahn betrittst und ich schaue ich unwillkürlich auf. Plötzlich lösen sich alle Worte auf. In einem letzten Blick auf die Buchstaben wachsen sie langsam zu dicken Fäden. Deine Arme, sogar deine Finger sind jetzt lange Schnüre. Ich halte den Stift mit beiden Händen, Du fesselst mich.

Du hast Angst, aber wir lernen uns trotzdem schnell kennen. Dass Du dich suchst, ist in Ordnung – ich suche dich auch.

Du erzählst von der Arbeit. Den Kollegen, den Kaffeepausen und den wachsenden Stapeln auf und neben deinem Tisch. Deine Worte werden zu einem Bild: Ich sehe dich zwischen Papierschluchten hetzen. Als das Bild sich bewegt, stützt du dich ab, verschnaufst.

Eine Geschichte, die wächst. Ein Text, der sich selbst vermehrt. Bald schon ist er so groß, dass er sich selbst über den Einband des Notizbuches hinweg, auf anderen Papieren, Zetteln, und auch in deinen Schluchten und Tälern weiter knüpft. Pusteblumenprosa ist das. Alles, was fehlt, ist etwas Wind.

Ich schüttele mein Notizbuch, um dir Wind zuzufächeln. Dir wird kurz kühl, aber ich schüttele zu stark. Die Worte, die herausfallen, verursachen einen Sturm.

Am Ende der dritten Woche unermüdlich unter deiner Tür hindurchgeschobener Entschuldigungsgeschichten, endlich eine Antwort. Du bist wieder da.

Dass wir wieder nebeneinander gehen, folgt einzig der Logik der Gewohnheit. Mit der Zeit haben wir uns die gleiche Meinung angewöhnt: Ich kann nicht ohne dich schreiben; Du kannst nicht ohne mein Schreiben. Wir meinen das Gleiche, aber wir meinen verkehrt.

Ein Text, der dich verkehrt herum beschreibt, ist noch ein Text von dir, ist ein Text über dich. Vor allem wird er nie etwas anderes sein können, als ein Text für dich.

Die Höhepunkte fallen aus dem Alltag, schreibe ich reichlich krumm, als ein Blumentopf neben mir zu Boden geht. Er trauert um die anderen Blumentöpfe. Da oben aber niemand ist, freust Du dich über das Blümchen, als ich nach Hause komme.

Eine Geschichte von einem, auf den ein Haus fällt. Von ihm bleibt nichts übrig, nur ein Blümchen kann sich halten. Ich hatte gehofft, das Blümchen gibt Halt, doch Du findest es zu traurig.

Ich koche für dich, aber Du willst es nicht essen, weil ich das Rezept umgeschrieben habe.

Langsam komme ich dahinter, dich aus meinen Texten herauszuhalten. Und doch bewege ich mich immer gleich. Ich schätze, die Haltung wohnt dem Schreiben inne.
Versuche im Liegen zu schreiben, bringen Alpträume, Versuche auf dem Rad Schürfwunden. Ich halte mich doch an die Bahn.

Du bist bei mir, weil ich dem Alltag den Kampf angesagt habe. So meinst Du, ihm entrinnen zu können. Du stürzt dich in meine Notizen, weil sie dir passen. Sie passen dir, weil sie für dich gemacht sind. Ich traue mich nicht, dir zu sagen, dass ich den Alltag brauche, um das Besondere zu schreiben; dass Du ihn mit mir nicht loswirst. Ich will dich nicht loswerden.

Eine Erzählung ohne Alltag. Die Sprache folgt nur noch einer Regel: keine mehr zu haben. Das Schriftbild wechselt bunt, Sätze hören einfach auf. Personen haben mehrere Namen und Substantive werden konjugiert. Am Anfang ist es schwierig zu lesen, ganz am Ende schwer zu verstehen.
Wir leben in dieser Geschichte und in unserem Haus gibt es nichts doppelt: Sechs verschiedene Gabeln, sieben Messer; Teller in braun, in weiß, mit Zierrand, in groß und in klein: ein wackliger Stapel. Auch die Dachziegel sind gemischt, dadurch wird das Dach schön bunt, aber ein wenig leck.

Du stolperst über den Eimer, den ich aufgestellt habe, weil es von oben tropft. Du fällst laut, schreist noch lauter, aber es passiert dir nichts. Der Eimer war so voll, ich bekomme dich fast nicht aus den Sachen. Alles klebt an dir.

Dass ich über unsere Pfützenliebe schreibe, in der Bahn neben Fremden, empört dich. Dass Du vergisst, Du allein kannst meine Schrift lesen, empört mich.

Zwei Wochen lang schreibe ich sauber, deutlich und größer als sonst über Scham und Peinlichkeiten, also über dein Schamgefühl und deine Pein dabei. Zwei Wochen lang versuche ich dir das aufschreibend auszureden. Ich erfinde, dass ich erfolgreich bin und diese Erfindung ist dir peinlich.


In einer Ausstellung, die wir besuchen, beschreibe ich dich vor Monet, vor Dali, vor Klee. Ich schreibe dich in die Bilder hinein, verwebe dein Haar mit dem Hintergrund und staune ein bisschen, als das Blau von Monet und Dalís Gelb von allein zu Klees Grün werden. Als mein Stift Dein Haar ist das bunteste aller bunten Haare flüstert, leuchten deine Wangen in Mirós Rot.

Du liebst mich, weil ich dich so sehe und neckst mich, dass ich die Bilder nicht sehe. Ich liebe dich, weil ich dich sehe und necke dich einfach so.

Ein Text darüber, dass es dann wirklich wird.

1 Kommentar:

Anne hat gesagt…

Es ist Sonntagmorgen und ich sitze hier und bin ein kleines bisschen verzaubert, weil ich gerade deinen Text gelesen habe. Ich möchte gerne noch ein wenig bleiben in dieser Welt, die ich nicht ganz verstehe, aber die mich doch berührt. "Du bist so leicht und Sprache so schwer." Spätestens da hattest du mich.